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Lesestapel: Adrian Frutiger - Schriften: Das Gesamtwerk

30. September 2015 von Yves Peters

Anfang 2009 bat mich John L. Walters, Adrian Frutiger - Schriften: The Complete Works für Eye, die internationale Zeitschrift für Grafikdesign, zu rezensieren. Sie wurde ursprünglich in Eye 71, der Frühjahrsausgabe 2009, veröffentlicht. Ich veröffentliche meine Rezension in respektvollem Gedenken und in Dankbarkeit für Adrian Frutiger, der von vielen als der bedeutendste Schriftgestalter des zwanzigsten Jahrhunderts angesehen wird und der vor drei Wochen verstorben ist.

Ausklappbare Reproduktion der Tuschezeichnung einer frühen serifenlosen Schrift, datiert Februar 1950, komplett mit Bleistiftanmerkungen und Korrekturen.
Ausklappbare Reproduktion der Tuschezeichnung einer frühen serifenlosen Schrift, datiert Februar 1950, komplett mit Bleistiftanmerkungen und Korrekturen.

Seine Schriftfamilie Univers® Schrift war das erste rationalisierte Schriftsystem, seine OCR-B setzte neue Maßstäbe in der automatischen Zeichenerkennung, und sein Alphabet für den Flughafen Paris-Roissy ist ein Meilenstein des zeitgenössischen Schriftdesigns. Dieses Buch, das in enger Zusammenarbeit mit Frutiger selbst entstanden ist, zeichnet Adrian Frutigers Leben anhand seiner Schrift Kreationen in chronologischer Reihenfolge nach. Da Frutigers Karriere alle verschiedenen Satztechnologien umfasst - vom Bleisatz bis zum aktuellen digitalen OpenType-Format Font - ist es auch ein einzigartiges Dokument der Praxis der Schriftgestaltung von den 1950er Jahren bis heute.

Als Objekt ist das Buch recht beeindruckend. Der überdimensionale, schwere Wälzer - in einem mit rotem Leinen bezogenen Hardcover mit einem stilvoll zurückhaltenden, unbeschichteten Schutzumschlag - liegt gut auf dem Schoß. Er ist von Feinherb, Visuelle Gestaltung (alias den Herausgebern Stamm und Osterer) wunderschön gestaltet. Das funktionale Layout verbindet die parallelen Erzählungen und die ausführlichen Bildunterschriften zu einem kohärenten Fluss.

Die Qualität des Inhalts ist erstaunlich. Nach einem einleitenden Abschnitt, der sich mit Frutigers frühem Leben und seiner Ausbildung befasst, ist jedes Kapitel einem Schrift gewidmet - von etablierten Klassikern über weniger bekannte Veröffentlichungen bis hin zu bisher unveröffentlichten Projekten. Jede Schrift wird in Interviews mit Frutiger kritisch gewürdigt und in ihren Kontext gestellt. Die Schriften sind umfassend dokumentiert, inklusive Entstehungsgeschichte, technische Spezifikationen und Messungen, Designdetails, Vergleiche mit ähnlichen oder Ähnliche Schriften , Veröffentlichungsgeschichte, etc.

Mit über 1000 Abbildungen gibt es viel zu sehen. Die Bilder sind außergewöhnlich und wunderschön reproduziert. Darunter befinden sich einige echte Perlen - Inspirationsquellen, frühe Skizzen und Produktionszeichnungen, Reproduktionen von alten Werbeanzeigen und Originalmustern, Fotos von Schriften im Einsatz und zahlreiche Einrichtungsbeispiele. Die Lektüre des Buches gleicht der Entdeckung eines lang vermissten Schatzes, da eine große Anzahl von ihnen bisher unveröffentlicht ist. Als ich zum ersten Mal die ausklappbare Tuschezeichnung einer frühen serifenlosen Schrift vom Februar 1950 sah, komplett mit Anmerkungen und Korrekturen mit Bleistift, lief es mir kalt den Rücken hinunter.

Wenn man sich einem hochspezialisierten Gebiet wie der Schriftgestaltung nähert, könnte man leicht mit einem stumpfen und hermetischen Band enden. Den Herausgebern ist es jedoch gelungen, das Buch sowohl für grafische Designer und Enthusiasten mit nur oberflächlichen Kenntnissen der Typografie zugänglich zu machen, als auch für erfahrene Typografen relevant und aufschlussreich. Dies ist ihnen gelungen, indem sie kurze technische Abschnitte einfügten, die Hintergrundinformationen über die Beziehung zwischen dem Design und der Produktion von Schriften bieten, um Hilfe Nicht-Experten die eher technischen Diskussionen über Schriftdesign und -produktion in den Hauptkapiteln zu erleichtern. Das Buch stellt auch Frutigers Logos vor, die auf separaten Seiten zwischen den anderen Kapiteln versammelt sind. Auf den Endseiten finden sich umfangreiche Anmerkungen und Listen.

Doch es ist nicht nur die Qualität des Inhalts, die dieses Dokument so bemerkenswert macht. Der Haupttext wurde aus monatlichen Gesprächen destilliert, die die Herausgeber mit Adrian Frutiger über einen Zeitraum von zwei Jahren führten. Außerdem haben sie umfangreiche Recherchen in Fachzeitschriften, Archiven, Bibliotheken, Museen und Sammlungen in mehreren Ländern durchgeführt. Sie hätten diese beiden Elemente in einem Text zusammenfassen können, haben sich jedoch für eine parallele Struktur entschieden, bei der die Interviews in der Hauptspalte und die wissenschaftlichen Recherchen in einer schmalen Spalte daneben stehen.

Diese Gespräche so gut wie unverändert zu lassen, war ein Geniestreich. Abgesehen von geringfügigen Änderungen - "die Transkripte in richtiges Deutsch umwandeln", wie Frutiger erklärt - sind es seine eigenen Worte, die Sie lesen (hier von einem Team von vier Übersetzern ins Englische übertragen). Man hat wirklich das Gefühl, den Meister selbst sprechen zu hören, und zwar nicht in einem Auditorium, sondern an seinem Küchentisch, zu Hause. Er lässt seine Kreationen wieder aufleben, stellt seine Designentscheidungen in einen Kontext und erklärt die Gründe dafür, kritisiert die jüngsten Manipulationen an seinem Werk, weist auf wichtige Details hin und erzählt Anekdoten über bekannte Namen wie A.M. Cassandre, Januar Tschichold, Akira Kobayashi und andere. Der Leser wird unwiderruflich in die Geschichte hineingezogen, und es ist eine fesselnde Lektüre.

Ich kann gar nicht genug betonen, wie wertvoll und wichtig dieses Buch ist, sowohl für Schriftneulinge als auch für Typografie-Liebhaber. Gründlich recherchiert, ausführlich dokumentiert und illustriert, bietet dieser gewichtige Band einen noch nie dagewesenen Einblick in den kreativen Geist eines der Giganten des Schriftdesigns des 20.

Dies ist nicht nur das wohl wichtigsteÄhnliche Buch der letzten zehn Jahre, sondern legt auch die Messlatte für künftige Publikationen in diesem Bereich erheblich höher. Diese Würdigung des Lebens und der Karriere von Adrian Frutiger ist eine glorreiche Errungenschaft und ein absolutes Must-have.

Meine Rezension Ein Leben in parallelen Spalten wurde ursprünglich in der Rubrik Uncoated in Eye 71, Frühjahr 2009, veröffentlicht.

Alle Fotos stammen von meinem abgenutzten Exemplar der ersten Ausgabe des Buches. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich das Buch nicht in neuwertigem Zustand zeigen kann.
Alle Fotos stammen von meinem abgenutzten Exemplar der ersten Ausgabe des Buches. Ich bitte um Entschuldigung, dass ich das Buch nicht in neuwertigem Zustand zeigen kann.

Adrian Frutiger - Schriften. Das Gesamtwerk
Birkhäuser
HerausgeberInnen: Heidrun Osterer, Philipp Stamm, Schweizerische Stiftung Schrift und Typographie
Jetzt als Studienausgabe mit einem Register, das Frutigers Werk noch besser zugänglich macht.

Erhältlich in Englisch, Französisch und Deutsch
462 Seiten, mit 430 Farb- und 620 Schwarz-Weiß-Abbildungen
24,5 × 31 cm / 9.6" × 12.2"
Adrian Frutiger - Schriften. Das Gesamtwerk ISBN 978-3-03821-526-4 (Englisch)
Adrian Frutiger - Caractères. L'œuvre complète ISBN 978-3-7643-8582-8 (Französisch)
Adrian Frutiger - Schriften. Das Gesamtwerk ISBN 978-3-7643-8576-7 (Deutsch)

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